Rezension Gerit Grimm

Immer wenn ich die keramische Sammlung meiner Mutter bewundere, sehe ich meisterhaft gedrehte Aufbewahrungsgefäße, welche schlicht, monumental, gut proportioniert und genau ihrem Zweck angepasst sind. Bei der Größe dieser Töpfe bin ich erstaunt, wie solide der Scherben gedreht wurde und an den richtigen Stellen voluminös wird. Die Töpfer beherrschten ihr Handwerk so perfekt, dass ihnen beim Drehen weder der Ton ausging, noch die Wandung durch wiederholte Arbeitsschritte zu weich wurde und damit die Form ihre majestätische Präsenz verlor. Diese Meister hatten kein Problem, die Gefäße mit Vollkommenheit anzufertigen.

Joachim Jung gibt uns mit diesem Buch eine Anleitung für das Großdrehen, welche auch bei kleineren Maßen Effektivität und Vollkommenheit ermöglicht. Sein Gebrauchsgeschirr mit den dezenten Glasuren ist ein Kompliment an unsere täglichen Speisen und die Formgebung zweckentsprechend. Jungs Töpfe erinnern an gedeckte Bauerntische und Picknicke am Feldrain. Sein Honigtopf scheint aus der alten Welt entsprungen, aus einem Märchen vielleicht. Schon als junger Töpferlehrling sah ich, dass Jungs Töpfe mehr als nur dekorativ sind.

Es ist eine Herausforderung, Jungs Formen zu drehen. Mein ehrgeiziges Ziel als Lehrling war, später als Geselle nur in Meister Jungs Produktion zu arbeiten. Leider suchte er damals einen Gesellen für das Großdrehen und keinen Berufsanfänger. Vergeblich sprach ich als arbeitsuchender Geselle bei ihm vor. Ich machte mich trotzdem noch einmal auf den Weg, trampte von der Insel Rügen und lief die letzten sieben Kilometer zu seinem Haus. Als Jung die magische Tür öffnete, lud er mich zum Essen an seinen Tisch. Ich aber wollte nur wissen, ob ich eine Chance als Geselle bekäme. Aufgeregt sah ich meinen Traum schon zerrinnen… “Iss erstmal” sagte er und nach einer für mich endlosen Zeit “Du kannst morgen früh anfangen.” So ging der Wunsch, Joachim Jung als Meister zu haben in Erfüllung. Heute gebe ich das von ihm Gelernte an meine Studenten in den USA weiter. Meine Lehrjahre liegen weit zurück, und wie Jung so schön beschreibt, sind meine Handgriffe ins Unterbewusstsein gewandert. Nach vielen Jahren des Trainings kann ich mich nun auf das Gestalten meiner Skulpturen konzentrieren.

Für mich ist es etwas Besonderes, Jungs Buch zu lesen. Es ist angefüllt mit Anekdoten zum Thema Keramik, regt zum kreativen Denken an und gibt eine detaillierte Beschreibung wie mit weniger Aufwand und richtiger Technik ein besseres Ergebnis in der Herstellung eines gedrehten Gefäßes erzielt wird. Joachim Jung stimuliert im Umgang mit Ton zur Achtsamkeit, denn delikate Unterschiede bei der Gestaltung erreicht man durch kleinste Veränderungen, wie zum Beispiel die Wahl der Tonhärte, der Töpferscheibe – elektrisch oder manuell. Er weist auf Fehler hin und findet poetische Beschreibungen, um Gefäßformen, Arbeitsschritte und Arbeitsräume eines Keramikers zu erklären, zu schätzen und zu genießen. Zum Beispiel liest sich die Ochsenkopf-Knettechnik wie eine Tanzanleitung. Seine Didaktik, eine 30 cm hohe Röhre meisterhaft zu drehen, bevor man überhaupt mit Bechern und Schüsseln anfängt, unterstütze ich. Wird seine beschriebene Technik beherrscht, besteht kein Problem erhabene Gefäße mit Leichtigkeit anzufertigen. Als Künstler, ausgebildeter Leistungs- und Großdreher überreicht uns Joachim Jung eine detaillierte Analyse des Töpferns. Dieses Buch sollte nicht nur vom Keramiker gelesen werden, es ist auch dafür geschaffen, der Allgemeinheit das Töpferhandwerk, bevor es in Vergessenheit gerät, theoretisch vorzustellen und einem handgedrehten Topf neuen Wert zu geben. Mit diesem Fachbuch in der Tasche kann man das Drehen erlernen, Fähigkeiten verbessern und Neues entdecken.

Gerit Grimm
Associate Professor / University of Wisconsin – Madison
https://www.geritgrimm.com