Rezension Helmuth Schröder

Nach langjährigen Selbstanalysen ist Joachim Jung, der seit über einem halben Jahrhundert an der Drehscheibe arbeitet, eine wissenschaftliche Anleitung für das Drehen auf der Töpferscheibe mit tief gehendem Anspruch und in verständlichen Worten gelungen. Denn üblicherweise lernt der Keramiker vieles intuitiv. Die Darlegung dieses Wissens kann man auch deshalb nicht hoch genug einschätzen, weil es sich um Arbeitsabläufe handelt, die so komplex und organisch miteinander verbunden sind, dass sie sich sprachlicher Beschreibung eigentlich entziehen. Jung versuchte, die Eigenheiten des Materials Ton auf der Töpferscheibe bis in die physikalischen Effekte und sein eigenes Tun dabei, bis in die Physiologie und Anatomie des menschlichen Körpers zu durchdringen und zu verstehen. Mit Flieh- und Schwerkraft, Winkel- und Hebelgesetzen aber auch des gezielten Einsetzens der eigenen Körpermasse legt er Regeln und universelle Prinzipien dar, die für das Erlernen des Töpferhandwerks unerlässlich sind.

Entstanden ist das Ganze in der DDR des Nachkriegs durch die Massenproduktion von Keramik trotz nicht vorhandener maschineller Möglichkeiten. Diese hatte einen unglaublichen Zeit-Akkord zur Folge, der den Arbeitsablauf bis in’s Allerkleinste durch gnadenlose Effizienz bestimmte. Die im Buch genannten Zahlen zeugen von der am Ende unglaublich routinierten Sicherheit, die man sich zu eigen zu machen gezwungen war. So wenig solche Art der Töpferei mit Kreativität zu tun hat, so unleugbar vorteilhaft ist die Routine für die nun frei gewordene Kreativität. Das ermöglicht, wie Cardew im „Der Pioniertöpfer“ formuliert, „… alles Schwierige hinter sich zu lassen, erst dann ist das Schöne schwierig und nicht umgekehrt.“ Die genaue Analyse, die den Weg beschreibt, ist die eine Sache, denn es bleibt noch das Umsetzen. Das zeigt dann das Talent des Keramikers.

In seinem Fachbuch spricht der Autor von 8 kg Ton, die man mithilfe dieser Technik ohne Kraftanstrengung zentrieren kann. Hier wird bereits deutlich, welche Tragweite diese methodische Systematik hat, die er durch seine spätere Analyse des empirisch erlernten Drehvorganges erarbeitet hat. Die Anfertigung großer Gefäße erfordert eine besondere Verfahrensweise, mit der sich überdies auch kleine Objekte effektiver herstellen lassen, was umgekehrt keineswegs der Fall ist. In den Extremen ist in jeder Sache dieser Welt ein wirkliches Kennenlernen möglich.

Das Buch ist zur derzeitigen Situation, in der die professionelle betriebliche Ausbildung in Deutschland wegen des Gesetzes der Lehrlingsmindestentlohnung fast nicht mehr vorhanden ist, ein wahrer Glücksfall. Sehr viele Keramiker arbeiten schon wegen ihrer Existenzgrundlage zumeist mit der Töpferscheibe. Anhand des Fachbuches kann der Einsteiger verstehen, dass, was er gesagt bekommen oder abgeschaut hat, von ihm geübt werden muss. Nach einer Zeit stößt er an Grenzen, die er sich nicht erklären kann. Er versucht, weitere Kurse zu belegen, um andere Erklärungen zu bekommen, die, wie er feststellt, verschieden sind. Und wieder stößt er an Grenzen. In diesem Buch stehen zum ersten Mal Begründungen für die Vorgänge auf der Scheibe, die physikalisch belegbar und vom Verstand erfassbar sind. Das Ziel tritt aus dem Nebel hervor. Wenn man beginnt, den Weg klar vor sich zu sehen, verschwindet die Unsicherheit.

Die Beschreibungen gehen weit über das Drehen hinaus: Die Henkeltechniken, viele spezielle Drehtechniken oder die sechzig Seiten lange, detaillierte Beschreibung von speziellen Eigenschaften von Geschirr, welche die Industrieware funktionell in den Schatten stellen und die die Handarbeit für solche Ergebnisse unumgänglich macht. Denn die Industrie ist oft mit ihren technischen Mitteln nicht in der Lage, überhaupt oder zu den üblichen Industriepreisen das hier Beschriebene herzustellen. Solche Geschirre bewirken ein neues Selbstbewusstsein für den Töpfer, der Geschirre herstellt oder sich mit dem Drehen als Ausgangsform für daraus hervorgehende Objekte befasst. Der berühmte japanische Philosoph Soetsu Yanagi (1889 – 1961) schrieb schon zu seiner Zeit: „Unter solchen Bedingungen wird der Künstler und Kunsthandwerker gezwungen, als Parasit in Abhängigkeit von der Gesellschaft zu leben, in der er keine echte Funktion mehr einnimmt.“

Joachim Jung versucht, wie die ebenfalls schreibenden britischen Töpferlegenden Bernard Leach und Michael Cardew vor ihm, eine Dokumentation und Bewahrung einer handwerklichen Kulturtechnik, die so alt ist wie fast die Menschheit selbst, um sie vor einer Verwässerung der Qualität zu schützen. Professionelle Keramiker könnten von diesem Werk ebenso profitieren, mindestens aber in der Weise, dass sie das eigene Können in eine verständliche Sprache zwecks Weitergabe bringen können – „das Wissen zum Können“, wie Gustav Weiß sich in seinem Vorwort zu diesem Buch äußerte, „ist anspruchsvoller geworden“.

Die opulente Ausgabe, der man größtmögliche und wohldurchdachte Sorgfalt beim konsequenten Ausbreiten eines Berufslebensschatzes bescheinigen muß, die überaus praxisorientiert und nachvollziehbar ist, vermittelt hier Anleitung und Rat wie nirgend sonst. Dieses Buch ist ein Lebenswerk. Es hat auf alle Fälle das Potenzial, ein Kultbuch für Töpfer zu werden. Jeder, der lernen möchte, wie man gute Töpferware herstellt, muss Jungs Buch haben. Hier gibt es die Belege, die die Handlungen durchschaubar machen. Kein anderer Töpfermeister hat sich so großzügig gezeigt wie Joachim Jung, der im Gegensatz zu vielen anderen sein ganzes Wissen preisgibt. Die Verbreitung des Bandes ist unbedingt wünschenswert. Es ist ein echtes Standardwerk und setzt Maßstäbe. Man kann mit Sicherheit sagen, zu diesem speziellen Thema mit diesem Niveau wird man besseres oder auch nur vergleichbares, weltweit vergeblich suchen.

Ich habe von den Rezensionen, die schon vor meiner Darstellung, auf der Internetseite von Joachim Jung veröffentlicht worden sind, einiges sinngemäß übernommen, da manche Formulierungen treffender nicht geschrieben werden können, und vor allem weil sie vollständig mit meiner Meinung übereinstimmen. Die Rezensionen stammen von: Dr. Walter Lokau, Marc Leuthold, Karl Fulle, Gerit Grimm, Evelyne Schoenmann, Armin Skirde, Anette Mertens, Mario Howard, Jörg Wunderlich.

Helmuth Schröder
Keramiker / Maler